Erlebnisse im Pfarrhause
Das Pfarrhaus, obgleich das letzte Haus in südlicher Richtung der Stadt, gerade entgegengesetzt dem Niederthore, woher die preußische Invasion kam, hatte trotzdem einen sehr zahlreichen Besuch. Etwa 6 Uhr Abends, wir waren eben zu Hause anwesend, erschien ein Offizier, umgeben von Soldaten, die theilweise im Hausgärtchen zurückblieben. „Wir wollen Quartier bei Ihnen bestellen, wie viel Mann nehmen Sie?“ war die Begrüßung. „Denke, fünfzehn“ entgegneten wir. „Pahl das ist viel zu wenig, als Pastor müssen Sie ein besseres Beispiel geben, in der Kirchgasse müssen 1000 Mann untergebracht werden, sagen wir einmal 50! Ihr Stand ist ohnedies uns feindlich gesinnt, die kathol. Geistlichen mißbrauchen die Kanzel, um gegen die Preußen aufzureizen!“ - Die Bemerkung, „es sind bereits verwundete Bayern im Hause ,“ half nichts; „die muß ich sehen, führen Sie mich hin!“ herrschte vielmehr der Krieger uns zu. Der colossale Mann trat zu den armen Verwundeten, worunter Oberlieutenant Röttinger vom 6. Infanterieregiment. Beim Anblick der blutigen Opfer grüßte er menschenfreundlicher: „der Krieg ist hart, ich muß Sie alle als preußische Kriegsgefangene erklären!“Er holte hierauf einen im Hausgärtchen zurückgebliebenen Soldaten herbei, der von da ab im Pfarrhause Wache stehen mußte.
„Herr Pastor! haben Sie etwa ein gefährliches Haus, das ich bewachen muß?“ sprach dieser nach Entfernung des Offiziers und beeilte sich sofort, sein Gewehr zu laden. Nach gegebener Aufklärung beruhigte er sich vollkommen.
Der Soldat, ein Berliner, verharrte bis zum Morgen ruhig auf seinem Posten, nur hatte er um Mitternacht einen Rencontre mit einem preußischen Soldaten. Wir hatten diesen in der Nacht auf der Brandstätte in der Hohengasse getroffen, ermattet vor Anstrengung, ganz durchnäßt, in nothdürftigster durch die Strapatzen sehr beschädigter Kleidung, überdies russig wie ein Kaminkehrer. Er erschien unserem Wunsche gemäß im Pfarrhause. Der Wachtposten meinte, der Mann erscheine als gemeiner Bettler. „Betteln paßt nicht für einen preußischen Soldaten; zu welchem Regiment gehörst Du? Ich werde Dich zur Anzeige bringen.“ Doch er ließ den Berliner plaudern; nahm dankbar Seine wohlverdiente Gabe und ging davon. Am Morgen erst zog der Wachtposten ab, und waren die armen bayerischen Verwundeten wieder glücklich aus der preußischen Gefangenschaft befreit, ohne später je wieder in ähnliher Weise belästigt zu werden.- Leicht wäre jedoch ein gefunder bayer. Soldat bei uns in preußische Gefangenschaft gerathen. Er war, wie noch Andere, nicht mehr rechtzeitig flüchtig geworden, und war noch versteckt im Heu auf dem Gebälke der Pfarrscheune, als dieselbe bereits mit preußischen Militärpferden bestellt wurde; zum Glücke gingen die Soldaten wieder weg, um Hafer zu fassen. Inzwischen wurde ihm zu einem sicheren Verstecke verholfen. - Die Pfarrhausthüre trug jedoch nicht allein die Zahl 50, zum Zeugnisse, daß 50 Mann hier einquartiert seien; ein anderer Ouartierbesteller setzte noch 25 hinzu. Wer hätte sie übrigens zählen mögen, die bei stets geöffneter Thüre auf- und zuwogten? Nachts 2 Uhr erschien ein Soldat in einem Kaufmannshause auf dem Marktplatze, vielmehr in der Küche desselben, in der noch die Kessel dampften; „ach ich komme vom Pastorshause, da ist Alles aufgezehrt, geben Sie mir doch noch Etwas zu essen!“ - Wir waren vor Mitternacht nur höchst selten zu Hause; als einziger Pfarrgeistlicher gab es für uns bald da, bald dort zu thun. Kein Wunder, daß die Einquartierten öfters die Vermuthung aussprachen: „Der Pastor hat sich geflüchtet.“ Als des anderen Morgens 5 Uhr der seelsorgerliche Beruf uns wieder in das Seelenhaus führte und während unserer Abwesenheit das Pfarrhaus sich wieder entleerte, wurden sie in ihrer Vermuthung nur bestärkt.