Der neue Ankömmling, körperlich und geistig kräftig, lebendig und feurig, schien uns der rechte Mann zu sein für den so überaus wichtigen Posten eines Feldgeistlichen. „Darf ich um Ihren Namen bitten?“ „Ich heiße Flücken.“ „Wohl gar des unsterblichen Gesellen-Vaters „Kolping“ inniger Freund Vikar Flücken, Vicepräses des Haupt-Vereins in Köln?“ „Der bin ich.“ Der Krieg hat den Verein in Köln fast aufgelöst, hundert Gesellen haben an manchem Abende unter Thränen vom Gesellenhause sich verabschiedet, um in den Krieg zu ziehen, ich wollte endlich auch meinen Gesellen folgen!"
In den rheinischen Volksblättern haben wir später gelesen, in Frankfurt sei aus dem Stalle eines Bankier ein Pferd losgebunden und Flücken zum Gebrauche angewiesen worden. - Bei Helmstadt wurde kommandirt, den Ort zu besetzen. Flücken, die Furcht der Bewohner bei Besetzung durch feindliche Truppen wohl kennend, sprengte über Aecker, Wiesen und Gräben, um an der Spitze der Truppen mit in das Dorf zu reiten, und zur Beruhigung der Ortseinwohner beizutragen. Etwa 50 Frauen und Jungfrauen hatten sich in das Pfarrhaus geflüchtet, bei Eintritt der ersten Preußen stürzten sie jammernd heraus, den Rosenkranz an ihren hocherhobenen Händen. Flücken beruhigte sie. Vor der Schlacht, da die Avantgarde vom Corps des General Beyer in der Richtung nach Helmstadt marschierte, hielt er eine Feierlichkeit auf dem Schlachtfelde, über die er in den rheinischen Volksblättern, wie folgt, berichtet:
„Mir lag die Pflicht ob, für das Seelenheil der Soldaten zu sorgen. Darum wandte ich mich an die Offiziere mit der Bitte, der kathol. Mannschaft die Absolution ertheilen zu dürfen. Sehr bereitwillig und gerne wurde diesem Wunsche entsprochen. Es erscholl das Commando: „Halt! Katholiken vor!“ Die Soldaten setzten ihre Gewehre zusammen und bildeten auf dem Felde einen weiten großen Halbkreis. Um besser gesehen werden zu können, blieb ich auf dem Pferde sitzen, legte die Stola um die Schultern und richtete an die Soldaten etwa folgende Worte: „Soldaten! Ihr gehet heute wieder in den Kampf, und mancher von Euch vielleicht in seinen Tod. Sorget darum, daß ihr dem Tode kühn und ruhig in das Angesicht schauen und, wenn er Euch trifft, vor dem ewigen Richter mit einem guten Gewissen erscheinen könnt. Knieet darum nieder, bereuet mit aufrichtigem Herzen eure Sünden, und kraft der Gewalt, die mir von Gott als Priester gegeben ist, ertheile ich Euch die Lossprechung unter der Bedingung, daß Ihr, wenn Euch der Tod verschont, das pflichtmäßige Bekenntniß Euren Sünden bei nächster Gelegenheit nachholen müßt.“ Nun folgte das allgemeine Sündenbekenntniß: „Wir arme sündige Menschen bekennen vor Gott, dem Allmächtigen, Maria, der allerseligsten Jungfrau u. s. f. Wir bereuen alle unsere Sünden und bitten Gott aufrichtig und demüthig um Verzeihung mit dem festen Versprechen, unser Leben zu bessern.“ Dann wurde die Absolution in lateinischer Sprache ertheilt. „Nun stehet auf.“ hieß es dann weiter, „besehlet Euch und Eure Angehörigen dem Schutze Gottes und der Fürbitte der allerseligsten Jungfrau Maria und aller Heiligen! Gelobt sei Jesus Christus! In alle Ewigkeit! Amen.“
Zu diesem Berichte war noch bemerkt: „Wenn aus den todten Steinen Feuer sprüht, wenn sie heftig an einander geschlagen werden, so ist das nur ein schwaches Bild von der überwältigenden aufflammenden Kraft der reichsten und höchsten Empfindungen, wenn menschliche Geister in großen und feierlichen Momenten zusammentreffen. Zu solchen Momenten rechne ich die Absolution der Soldaten vor dem Beginne der Schlacht. Die von der Sonne tief gebräunten Gesichter waren vor Ergriffenheit bleich geworden, dicke Thränen der Rührung und Freude hingen auf den Wangen, auch die Offiziere waren davon nicht ausgenommen, und Einer aus ihnen schüttelte mir lange und fest die Hand. Aber sogleich erscholl wieder das laute Commando: „Zu den Waffen! Vorwärts! Marsch!“ und fort ging's der Chaussee entlang zwischen den reichbeladenen Aepfelbäumen, die zu beiden Seiten der Straße standen, auf Helmstadt zu.“
Nach Beendigung des Krieges ist der wackere Feldgeistliche Vikar Flücken Rektor an der Kapelle in Thenhofen geworden, und bald darauf preußischer Militärgeistlicher für Kassel und Umgebung. Der Herr segne auch fernerhin sein Wirken!
*) Wir trafen am späten Nachmittage des 10. Juli Kaufmann und Magistratsrath Falk, der das für die preußische Schlachtbank requirirte Vieh beizuschaffen den Auftrag hatte. „Ich weiß kein Stück mehr aufzutreiben, soll ich in die Ställe armer Leute eindringen lassen,“ sprach er. Gerne hießen wir ihn mit seinen Begleitern ins Pfarrhaus gehen, um aus seiner Verlegenheit ihm zu helfen.