Hammelburger Geschichte(n)

Selbst beherzte Leute, anfänglich in ihren Wohnungen auszuharren fest entschlossen, ergriffen die Flucht, als Kartätschen und Granaten in ihre Wohnungen einschlugen. Manche, in ihren Wohnungen unbehelligt, machten sich davon, als die Stadt an fünf Orten brannte und der Fortgang des Treffens nicht absehen ließ, wie die Dinge noch endigen würden. – „Mutter, Mutter, wir verbrennen, wir wollen auch noch fort!“ und fort gings' zum oberen Thore hinaus in den Fuchsstadter Wald. In diesen Wald ging der Hauptzug der Hammelburger Flüchtlinge. Da schlugen Manche ihren vollen Heerd auf und richteten sich ein wie für einige Tage. Vor Ankunft der Hammelburger hatten die Bewohner Fuchsstadts den Wald bereits theilweise besetzt. Die hier Zurückbleibenden waren während des Gefechtes größtentheils in den Kellern; insbesondere war es der große Keller des ehemals fürstlichen Schlosses im Rentamte, der vielen Familien Sicherheit bot. - Eine Familie auf dem Markte suchte endlich Schutz allda, als in ihrer Wohnung Nro. 51 eine preußische Granate zerplatzte und Zerstörungen anrichtete. - Als Nachmittags 4 Uhr von dem kgl. Bezirksamte und Magistrate Boten ausgeschickt wurden, um die Flüchtlinge aus den nahen Wäldern wieder heimzurufen, kamen die Meisten wieder herbei. Manche hatten sich jedoch weiter geflüchtet. Nicht blos die ganze vom Feinde freie Umgebung, auch weiter entfernte Orte, z. B. Arnstein, Würzburg, Kitzingen, Sulzfeld, Dettelbach, Wiesentheid, Mergentheim, Ansbach und Bamberg sahen Hammelburger Flüchtlinge. - Etwa Abends 6 Uhr waren wir Zeuge, wie in der Nähe des oberen Thores ein hiesiger armer Bürger in halber Verzweiflung auf einen preußischen Offizier zueilte mit dem lauten Rufe: „Ihre Gnaden verschonen Sie unsere Stadt!“ eben wankte auch eine Wöchnerin daher, deren Wohnung vollständig abgebrannt war, und kam ein Familienvater, in der hohen Gasse Nro. 148 wohnhaft, von der Flucht zurück, auf dem Wagen seine weinende Frau und 10 Kinder, ihm und einer befreundeten Familie angehörig. „Ist mein Haus auch schon abgebrannt?“ rief er uns zu; „In der nächsten Nähe der Brandstätte ist es bis jetzt noch unbeschädigt“, konnten wir zu seiner Beruhigung antworten. Die ganze traurige Scene wurde illustrirt durch den erwähnten preuß. Offizier. Tiefbewegt sprach er zu uns: „Was doch so ein unglücklicher Krieg Schreckliches bringt über einen friedlichen Ort und seine Bewohner.“ – Selbst am Tage nach dem Gefechte flüchteten noch Manche. Morlesau und Waizenbach nahmen Flüchlinge auf, insbesondere waren es die verehrlichen Stiftsdamen daselbst, die ganzen Familien ihr Schloß liebevoll öffneten. – Auch in Weiheresfeld erhebt sich ein Denkmal einer unglücklich Flüchtigen. Die allgemein geachtete Regina Schultheis, Ehefrau des Gastwirths Joh. Georg Schultheis dahier, Tocher des + Oekonomen Johann Georg Löser von Weihersfeld und seiner alldort lebenden Wittwe Anna Maria, geb. Rämer, war Wöchnerin. Eine feindliche Kartätsche, die an dem ihrer Wohnung benachbarten Rathhause abprallte und die ganze Nachbarschaft erschütterte, veranlaßte die Arme zur Meinung, sie selbst sei bereits getroffen. Sie wurde sicherheitshalber in den Keller verbracht, später jedoch von preuß. Soldaten in ihr Krankenzimmer zurückgetragen. Am 11. Juli wünschte die Unglückliche zu ihrer Mutter nach Weihersfeld, wo sie am 16. Juli bereits verstarb. Auf ihrem Grabdenkmal heißt es u. A.: „Auch ein Opfer des deutschen Bruderkrieges im Jahre 1866.“ Ihr letztes Kind folgte ihr bald im Tode nach. – Auch hier sind noch einige kränkliche Bewohner des Bürgerspitals aus Schrecken verstorben und fanden ihre Ruhestätte mit gefallenen Soldaten in gemeinsamen Gräbern auf dem Kirchhofe. In den Tagen vom 10. bis 14. Juli schlichen die Leute wie Geister einher, bleich, abgezehrt, voll des Kummers und der Bedrängniß. Die Zündgranaten der preußischen Geschütze, die aufsteigenden Rauchwolken und Feuersäulen, die immense Einquartierung ungegründete Furcht vor Retirade haben das Maas des Schreckens und des Kummers voll gemacht. Unwillkürlich kam uns das biblische Wort in den Sinn: „Die Menschen werden verschmachten vor Furcht und Erwartung der Dinge, die da kommen werden.“ - Wie tief die schreckliche Erinnerung selbst Kinderherzen sich eingeprägt hat, ein Beispiel: Am Christi-Himmelfahrtsfeste 1867 bewegte sich von der Pfarrkirche die feierliche Prozession mit dem hochwürdigsten Gute Nachmittags 1 Uhr, wie an diesem Festtage herkömmlich, in die Kirche zu Altstadt. Kaum hatte daselbst die Predigt begonnen, als der Ruf „Feuer“ erscholl. Alles stürzte zur Kirche heraus. um sich nach Hause zu begeben. Es stand ein Nebengebäude zu Haus-Nro. 44 in lichten Flammen. Eine Mutter eilte mit ihrem 4jährigen Knaben gleichfalls nach Hammelburg. Als dieser die Bewegung der Leute und noch dazu die lichten Flammen sah, jammerte er laut auf: „Mutter, Mutter, die Preußen kommen wieder!“.

© Hammelburger Geschichte 2023. Design by divohab