Vorboten des Krieges
Seit 50 Jahren hatte man im tiefen Frieden gelebt. Truppenkörper zu sehen, war den meisten-hiesigen Bewohnern ein neues Schauspiel. Die kriegerischen Bewegungen des Jahres 1866 führten baldigst vaterländische Truppen in unsere Mauern. - Bei der heißesten Mittagssonne des 22. Juni bewegte sich ein langer Zug auf der Straße von Fuchsstadt nach Hammelburg. Trotz aufgewirbelter dichter Staubwolken glänzten weithin die blanken Waffen. Es waren 2 Bataillone des 9. Infanterieregiments, eine Abtheilung Artillerie und eine Abtheilung Cavallerie, die aus dem Lager bei Schweinfurt im ersten Tagmarsche nach Hammelburg kamen. Die Quartiermacher waren nur ganz kurz vor dem Einzuge der Truppen angelangt. „Vater“ Aldosser sahen wir auf dem Rathhause in ungeduldiger Sorgfalt, bis die ganze Mannschaft in ihre Quartiere untergebracht war. - Die städtische Einquartierungskommission hatte das Pfarrhaus von jeder Einquartierungslast eximirt, wir wollten jedoch von dieser Vergünstigung keinen Gebrauch machen und erbaten uns Soldaten in das Quartier. Gerne geleiteten wir den uns zugewiesenen Major Ottmar Frhrn. V. Guttenberg und seinen Adjutanten, Oberlieutenant Welsch, in das Pfarrhaus. Sie waren uns wie liebe Hausfreunde, die wir des anderen Morgens mit 10 bis 12 Soldaten in banger Theilnahme um ihr ferneres Geschick aus dem Hause scheiden sahen. Nur zu bald haben wir über zwei derselben Trauernachrichten erfahren. -- Das 9. Regiment marschirte gegen Brückenau; endlich wandte es sich gegen Neustadt a/S. und Mellrichstadt und nahm am 4. Juli am Gefechte von Roßdorf Theil. Major v. Guttenberg wurde noch am Anfange des Gefechtes im Wiesenthal bei Roßdorf durch eine feindliche Kugel im Knöchel schwer verwundet und starb einige Tage nach der Amputation seines Fußes. - Auch der brave Soldat Michael Schmitt von Bütthard erlag seinem Geschicke, indem er bei dem kühnen nächtlichen Ueberfalle Oberst „Aldossers“ bei Immelborn einen Schuß durch Lunge und Leber erhielt und am 4. Juli im Spitale zu Salzungen verstarb.
Nach dem 22. und 23. Juni folgten sich immer und immer wieder Durchzüge und Einquartierungen, theils größere, theils kleinere Truppentheile verschiedener Waffengattungen in unserer Stadt am 26., 27., 29. Juni, den 1., 3., 4., 5. Juli. _ Besondere Ueberraschung wurde Hammelburg bereitet, als am 5. Juli früh 9 Uhr 91 Cavalleristen auf der Straße von Brückenau gegen Hammelburg in rasendem Zuge gesprengt kamen. Sie brachten die niederschmetternde Kunde, daß bei Hünfeld 7 bayerische Cavallerieregimenter von den Preußen vollkommen geschlagen und aufgerieben worden, und sie die einzigen traurigen Ueberbleibsel seien. Unaufhaltsam, als ob die Preußen auf dem Fuße folgten, galoppirten sie weiter. Der Schrecken der hiesigen Bewohner war ungemein groß; die Leute eilten von dem Felde nach Hause; die Kinder, die von ihren Eltern aus der Schule geholt wurden, erfüllten die Stadt mit lautem Schreien. Wirthe entfernten ihre Schilde, Tüncher pinselten die Firmen der Geschäftsleute hinweg, und welche Rührigkeit in den Häusern mit Verstecken und Einpacken! Glücklicher Weise erwies sich die Unwahrheit dieser Angaben noch an demselben Tage, indem gegen Abend das Cavallerie-Reservekorps mit dem Stabe unter dem General Fürsten Thurn und Taxis wohlgeordnet von Brückenau hierher kam.
Die vielbesprochene Affaire von Hünfeld erwähnen wir jetzt nicht weiter, wohl aber eine edle Handlung des dort gefallenen Kuirassierlieutenants Franz v. Grafenstein, die uns später aus dem Munde eines Augenzeugen berichtet wurde. *) Grafenstein, gräßlich verwundet, wurde in die Hütte einer armen Wittwe zu Neuwirthshaus bei Hünfeld aufgenommen. Letztere bot für den Unglücklichen Alles auf, zum Danke schenkte er ihr, bevor er verschied, 400 Thaler, die er bei sich trug.
Bis zum 10. Juli waren sodann theils dahier, theils in der nächsten Umgebung das ganze Cavallerie-Reservekorps, auch das traurige Fähnchen der Hünfelder Ausreißer war am 7. Juli wieder von Würzburg über Arnstein nach Hammelburg zurückgekommen.
Die im Gefechte von Hammelburg betheiligten Streitkräfte hatten sich am 7., 8., 9. Juli sämmtlich hier und in der Umgegend versammelt.
*) Erzählt von dem Lazarethgehilfen „Gutheim“, der zur Pflege des preuß. Generals v. Schachtmeyer lange hier anwesend war.