Vor 10 Jahren
Die letzten Tage
Kriegsende 1945 in Hammelburg.
Nachdem seit dem Gelingen der Invasion die Front von Westen her ständig und bedrohlich nähergerückt war, machten die Alliierten von ihrer Luftüberlegenheit schonungslosen Gebrauch. Tieffliegerangriffe auf Züge und Fahrzeuge, sogar auf pflügende Bauern auf dem Feld waren auch hier an der Tagesordnung. Ihnen fielen der Kraftfahrer I B. Seufert und B. Nickel, auf der Fahrt zur Arbeit, zum Opfer. Nun spürte man mit dem Beginn des Jahres 1945 nach dem Scheitern der Ardennenoffensive das Unheil täglich näher kommen.
Trotzdem man schon auf alles gefaßt war, wirkte es doch wie ein Schock, als am Sonntagabend des 25. März bei einer kurzfristig anberaumten Dienstbesprechung der Volkssturmführer vom Batl.-Führer Merkle mitgeteilt wurde, daß die Amerikaner - die man noch am Untermain glaubte - schon bei Aschaffenburg standen und man mit ihrem baldigen Vordringen durch den Spessart rechnete. Der Krieg stand vor den Toren der Stadt Er sollte noch viel schneller hier sein, als man vermuten konnte, denn niemand konnte ahnen, daß ein Panzerunternehmen des Cptn. Abraham Baum (mit 27 Schützenpanzerwagen, 16 Panzern, 3 Halbkettenfahrzeugen und 6 Jeeps, bemannt mit 292 Offizieren und Mannschaften) mit dem Ziel Lager Hammelburg, nachdem es am Abend des 26. die Front bei Aschaffenburg-Schweinheim durchbrochen hatte, schon am 27 März hier sein würde. Sein Feuer, als die Panzer beim Kirchlein Untereschenbach hereinrollten, richtete sich gegen die von Meiningen rasch herbeigezogene und kurz zuvor am Bahnhof Hammelburg ausgeladene deutsche Abteilung des Hauptmanns Köhl, die nach einem Vorstoß in Richtung Waizenbach nun zwischen Thulbabrücke und Ziegelei Voll Stellung bezogen hatte.
Ungläubig hörten die Bewohner gegen 16 Uhr das Krachen der Panzergeschosse, bis dann der Kampflärm bei der Stadt verstummte, weil die Amerikaner gegen das schwach (von nur etwa 500 Mann) verteidigte Lager vorrückten, von wo man dann das Maschinengewehr- und Geschützfeuer hörte. Bald standen dicke Qualmwolken über dem Lagerberg, lichterloh brannten dort die Strohhaufen. Der Ausgang dieses kurzen Gefechts konnte nicht zweifelhaft sein, aber Baum konnte sich seines Erfolges nicht freuen. Er versuchte, mit soviel Gefangenen, als er mitnehmen konnte, sich den Rückweg zu bahnen. Aber die Abt. Köhl, (welche durch Verhängung des Standrechts in Fuchsstadt - wo sie Quartier bezog - viel Beunruhigung erregt hatte), ging nachts mit Erfolg auf Panzerjagd (Kohls Adjutant Oblt. Nießner sprach von 5 Abschüssen) und am nächsten Tag gelang es zuammengezogenen Kräften, Baums restliche Abteilung in der Nähe von Höhe 427, östlich Höllrich, aufzureiben, nachdem ein Teil der Fahrzeuge wegen Benzinmangels am Bonnländer Berg steckengeblieben war. Baum selbst gab sich (unerkannt) verwundet gefangen und er kam über Hundsfeld mit Waters, dem von ihm befreiten Schwiegersohn General Pations, wieder ins Lager zurück So war das Unternehmen Baum durch die Abteilung Köhl vollständig gescheitert. Hauptmann Köhl ist kurz darauf mit seinem ganzen Stab noch gefallen.
Die Ostertage sollten für Hammelburg den Höhepunkt des letzten Kriegsgeschehens bringen. Mehr und mehr zeigte sich, daß die deutsche Wehrmacht sich in voller Auflösung befand; aber Parteidienststeilen versuchten mit Hilfe des Volkssturms noch eine Art Widerstand zu organisieren, wofür der Kreisleiter einen eigenen Kommissar mit unbekannten Vollmachten hierherbeordert hatte. Ständiger Fliegeralarm und ferner Geschützdonner bedrückten die Bevölkerung: die Front war bereits bis Gemünden vorgerückt. Am Mittwoch, 4. April, erfolgte ein Fliegerüberfall auf gefangene Russen am Bahnhof, der Verluste, auch bei den Wachen, brachte. Stabbrandbomben- und Phosphorabwürfe, sowie Tieffliegerangriffe riefen Brände hervor, so in der Horst-Wesselstraße, am Viehmarkt, in der Wankelstraße, der Seelhausgasse und an der Stadtmauer. Die Feuerwehr bekämpfte sie erfolgreich, oft noch wahrend der Angriffe. An der als Lazarett gekennzeichneten Landwirtschaftsschule fielen während einer Folge von 9 Tieffliegerangriffen 2 ausgelöste Bomben, welche 2 Soldaten zerrissen. Zwei Sprengbomben fielen in den Schloßhof - der dort getätigte Weinverkauf hatte den Flieger angelockt - und dabei wurde sowohl der schöne Treppenturm der Südostseite, als auch das Renaissanceportal im 1. Stock zerstört.
Ständig passierten kleinere und größere Trupps von Landsern ohne Waffen die Gegend, wobei sie vielfach die Stadt umgingen; desgleichen kamen Einheiten mit ihren Fahrzeugen durch und bezogen in den Dörfern, meist nur für eine Nacht, Quartier. Manche hatten Frauen dabei, die nicht nur Wehrmachts-Helferinnen waren. In Fuchsstadt versuchte eine Einheit, ein lebendes Kind von einigen Monaten im Rathaus zurückzulassen. Sichtbare Zeichen der allgemeinen Auflösung!
Am Donnerstag, den 5. April, nahm die Fliegertätigkeit noch mehr zu. Schon am Morgen gab es neue Brande am Viehmarkt und am Linsenhügel. Um 1/2 1 Uhr wurde auch die Kirche getroffen und die wertvollen Glasmalereien des Chores zerfielen zu Splittern. Die Bevölkerung begann zu flüchten. Nachts tasteten Bündel von Scheinwerfern und Leuchtkugeln den Himmel ab; ringsum hörte man das Rattern der Panzerketten und Geschützdonner. Auch am Freitag, den 6 April, stand die Stadt unter Fliegerbeschuß. Diebach war am Abend, Untererthal am Freitagmittag besetzt worden Schon vorher hatten Waizenbach und besonders Windheim große Gebäudeschäden und Einwohnerverluste erlitten. Die Brücken bei Diebach. bei der Kessenmühle und bei Untereschenbach waren durch Wehrmachtskommandos bereits gesprengt Nun sollte ihnen, - trotz aller Versuche sie zu retten -auch die alte Saalebrücke von 1121 nachfolgen. Die Sprengladungen, welche ein Kommando der Wehrmacht schon seit 5. April im Progymnasium lagern hatte, sollten in der Brückenkammer angebracht werden. Sie wurden zum Teil heimlich beseitigt. Der Bahnangestellte Weiß kam wegen seines Protestes gegen die Sprengung vor ein Standgericht, das ihm aber Bewährung zubilligte Doch die Brücke konnte nichts mehr retten, um 18 Uhr des Freitag gab der zuständige Wehrmachtsoberst den Befehl zur Zündung und ein uraltes Symbol der Bedeutung Hammelburgs als wichtiger Flußübergang (mit wertvollen Figuren aus dem 18. Jahrhundert) sank in Trümmer. Die Fuchsstadter und Westheimer Brücke teilten ihr Schicksal. Am Spätnachmittag des 6. April war das Lager von seiner Besatzung aufgegeben worden, Reste der Wehrmacht und Führer der Partei und des Volkssturmes setzten sich abends ostwärts ab. Um 19 Uhr hatten die Amerikaner das Lager besetzt und hatten in der Nähe 3-4 Batterien in Stellung gebracht. Um 1/2 8 Uhr begannen sie mit der Beschießung der Stadt, in der sie noch größere Wehrmachtsteile vermuteten. Das Krankenhaus wurde getroffen, Lt. Mayrhoter, Schwester Heriburga und 2 belgische Krankenwärter wurden getötet.
Die in der Stadt Verbliebenen erlebten durch die Beschießung eine alle ausgestandenen Schrecken noch übertreffende Nacht. Im Rathauskeller waren die Geängstigten ratlos zusammendrängt. Nach dem 2. Bürgermeister Keßler ließ sich auch der 1. Bürgermeister Clement endlich umstimmen und überzeugen, daß man mit den Amerikanern Verbindung aufnehmen und die Übergabe der Stadt anbieten müsse und zwar sogleich. Schließlich wurde der städt. Bedienstete L. Kirchner beauftragt, in Begleitung zweier Gefangener mit einer weißen Fahne sich zum Kommando der Amerikaner nach der Fuldaer Straße (bei Villa Herrlein) zu begeben und -mit der Angabe, daß sich keinerlei Wehrmachts- und Parteiangehörige mehr in der Stadt befänden - die sofortige Übergabe anzubieten. Dadurch wurde die Beschießung durch 4 Batterien, welche um 3 Uhr das Feuer eröffnen sollten, buchstäblich im letzten Augenblick verhindert. Die Übergabe erfolgte darnn formlos und ohne schriftliche Übergabeverhandlung Die Amerikaner zogen ein. besetzten das Rathaus und öffneten dann den Luftschutzkeller wieder. Sie übernachteten in den Häusern am Marktplatz und auf ihren Schlafsäcken im Freien. Besetzt wurden und blieben dann lange Zeit die Landwirtschaftsschule, das Amtsgericht, die Darlehenskasse, Postamt und Bahnhof, sowie eine Reihe von Privatgebäuden. Die Einwohner kehrten langsam wieder zurück. Trotz der Gebäude- und Personenverluste atmete man auf: der Krieg war über die Stadt hinweggerollt.
Am 22. April, als das Leben wieder einigermaßen geregelte Formen angenommen hatte, fand in der Pfarrkirche ein Dankgottesdienst für die glückliche Errettung der Stadt aus der Kriegsnot statt. Am 8. Mai, als die bedingungslose Kapitulation den Krieg beendete, konnten die Einwohner beobachten, wie die Amerikaner mit viel Feuerwerk über dem Lager ihren Sieg feierten.
Unter Berücksichtigung der Aufzeichnungen von Dr. Max Greger, Heinrich Ullrich und eigener Notitzen.