Hammelburger Kuriositäten und Raritäten
Erlauschtes und Erlebtes
So vor der letzten Jahrhundertwende, als die Hammelburger Familien noch ziemlich kinderreich waren, wurde auch sehr am Petroleumlicht gespart, besonders in den Sommermonaten, wenn: die Bauersleute oft erst nach Eintritt der Dunkelheit vom Feld nachhause kamen. Die Kinder einer Gasse, oft auf sich selbst angewiesen, taten sich unter einander gerne in kleineren Gruppen zusammen und setzten sich auf die Stufen der aus den Häusern vorspringenden Steintreppen. Dabei führten die älteren die Unterhaltung und keines von den jüngeren muckste sich, wenn von den Hammelburger obskuren Geschichten erzählt wurde.
Da kam zuerst die schwarze Gestalt daran, die allnächtlich in der Westheimer Hüll (Hohlweg) zu sehen ist, aber am Bildstock auf der Höhe jedesmal wieder zur Umkehr gezwungen wird. Dann kam der große schwarze Hund an die Reihe, der zur Geisterstunde auf dem Wege vom alten Lindenbaum am Geilesberg zum Bildstock an der Gabelung Viehweg/Bettlersleite sich drohend bewegte. Ein Metzgerssohn, der seine geströmte Riesendogge dem schwarzen Ungetüm entgegenstellen wollte, sah seine Dogge lautlos verschwinden, wahrend er vor Schreck kein Wort mehr über die furchtbare Sache reden konnte Mäuschenstill wurde davon Kenntnis genommen, wie es den Hammelburger Fuhrwerken ergehr, wenn sie nachts zum Holzabfahren in die abgelegenen, unendlich weiten Rhöner Forstreviere Kleinsäufzig, Pflettscherpfad und Judenhand vordringen mußten. Da gab es noch Lichter im Walde, die hell aufleuchteten und sofort wieder verschwanden, unheimliche Laute waren zu hören, die weder von Menschen noch von Tieren stammen konnten. Glühend heiß und eiskalt zugleich aber lief es den Rücken der Jungen herab, wenn die Erlebnisse des Posthannes zur Sprache kamen. Wenn er zu später Stunde mit seiner Postkutsche von der Tour Arnstein über die waldreichen Straßen zurückfuhr, machte ihn schon das Anlegen des Hemmschuhes - ungefähr beim Kreuz auf der Pfaffenhäuser Höhe - sehr nervös, weil er nicht wissen konnte, welches Unheil die letzte Strecke noch bringen könnte. Auf den tief unten im Tal liegenden Kirchgrundwiesen ging es manchmal zu toll zu, wenn die Irrlichter ihren Zaubertanz aufführten Das Schlimmste und damit das Ende der Pein war dann überwunden, wenn der Posthannes seine Gäule endlich mit Angst und Schweiß, unter Schimpfen und Schreien über die Stendlsbrücke (Steinthals-brücke) gebracht hatte, weil sie an dieser teuflischen Stelle zu leicht und zu oft scheuen wollten. An dieser bösen Kurve war schon sehr viel Unheil passiert, währenddem schurkische Unholde im felsigen, von undurchsichtigem Gestrüpp bewachsenen Graben ein unheimlich entsetzliches Freudengeheul veranstalteten.
Von diesen Schauermärchen, die aus mangelnder Kenntnis von Realitäten wie Leuchten der Augen (Lichter) des Wildes zur Nachtzeit, von Naturerscheinungen, wie Irrlichtern, aus mittelalterlich überlieferter Furcht vor übermenschlichen Fähigkeiten, aus Angstvorstellungen vor der rächenden Nemesis wegen begangener schwerer nachbarlicher Feldfrevel und Grenzsteinbeseitigung entstanden sind und sich hartnäckig erhalten haben, blendet der Erzähler jetzt zur biedermeierlichen Postkutschenromantik über.
Hammelburg war vor mehr als 100 Jahren ein zentraler Postplatz von Bedeutung, worauf der umfangreiche Hof und die geräumigen Stallungen in der Posthalterei (am Viehmarkt) noch schließen lassen. Nach allen Himmelsrichtungen wurde der Pendelverkehr turnusmäßig unterhalten. Für die Personenbeförderung standen mehrere Stellwagen, in der Aufbauform den Pesonenwagen der ersten bayerischen Eisenbahn Nürnberg-Fürth ähnelnd, überdacht, an den Seitentragstangen mit zusammenziehbaren Wettervorhängen versehen, zur Verfügung. Seit Eröffnung der Saaletalbahn 1883 führten die großen Wagen mit den vom Ungeziefer zernagten Stoffteilen nur noch ein museales Schattendasein im Büchsenhof, wo sie wahrscheinlich dem Fraß der Zeit völlig zum Opfer gefallen sind und so (Prachtstücke für die heutige Fremdenverkehrswerbung) für immer verloren sind. Lustig ging es bei den Postfahrten immer zu, denn der Althammelburger war gewohnt, nie ohne den stärkenden Mostbartel und den verführerischen Karro (Schnaps im Fläschchen) eine Reise anzutreten.
Obwohl die Eisenbahn mit ihren paar wenigen Zügen am Tage längst ein vertrautes idyllisches Bild geworden war, lieferte sie von 1895 an für groß und klein, hauptsächlich für die männliche Jugend, Sensation auf Sensation, wenn Transporte mit Soldaten aller Gattungen und Uniformen aus- oder eingeladen wurden. Ein Höhepunkt war die Verabschiedung eines Teilkommandos von zur Strafexpedition gegen die aufständischen Boxer in China zusammengestellten Mannen.
Im Bahnhofsviertel bekamen die ankommenden Fremden aber auch schon Wind von einem eigenartigen, nicht überall bekannten Geruch. Die Buben, den Fremden meistens fußspitzennah und schon auf eine fragende Geste wartend, platzten dann fix mit einer Erklärung herraus: „Hier wird auch Käs gemacht". So genau übereinstimmend mit diesem Wort war die Geruchsart nun auch wieder nicht und erst auf das erstaunte Aufhorchen der Fremden kam die Ergänzung: „Jawohl, Lohkäs". Überall in Hammelburg roch es nach Eichenlohe, eine aus der Eichenrinde freigelegte Holzfaser, deren Gerbsäuregehalt die stärkste Ochsenhaut zum Sohlenleder gar machte. Nach Entziehung des Gerbstoffes fand die Lohe noch verschiedenartige Verwendung, z.B. als Lohkäse (Brennstoff in der Preßform eines Klinkersteines). Loh befand sich im Turngarten unweit vom Bahnhof, in den Gerbereien von Thulba und Saale und in den Pfaden besserer Hausgärten nicht minder. Und wenn mal irgendwo keine Lohe zu sehen war, dann kam bestimmt einer der vielen Gerbereigehilfen des Weges und dann roch es auch wieder nach Lohe. Eine Gasse ist auch nach diesem Produkt benannt: die Löwengasse - Löher- oder Lohgasse.
Als der echte Lohkäs in Hammelburg längst ausgestorben war, lebte sein Name auf dem Übungsplatz noch fort. Er wurde von Soldaten des Würzburger Infanterieregiments angewandt und gegenüber solchen Einjahrig-Freiwilligen des Regiments, die, von außerhalb Bayerns stammend, mehr durch die Klappe als durch gutes, unbeanstandetes Exerzieren und Schießen imponieren wollten. Und wenn durch seine solche Beanstandung der brave alte Mann im vorderen oder hinteren Glied in Mitleidenschaft gezogen war, dann entwischte seinem räsonierenden Munde sicher der Titel „Lohkäs". Wie der Nutzwert eines Lohkäses nur minderwertig war, so sollte es auch mit der soldatischen Eigenschaften dieser Einjährigen bestellt sein Einmal aber, es war schon 1917, kamen die ehemaligen „Lohkäse" beinahe mit dem Fußkäs in Konflikt, nachdem mancher alte Lohkäs seine Ruhestellung auf dem Lager zu lange gehalten hatte. Der Ruf der Fußkäs-Kommission, bestehend aus Stabsarzt Dr. Fuß und Major Käs, war von der Etappe, wo sie die KV-Leute zusammensuchte, bis in die äußersten Winkel der Inlandsgarnisonen gedrungen und mancher in der Heimat mußte noch dran glauben nach dem Schlagwort: „Kv! - der Nächste!"
F. St.