Der Wanderer im Thulbagrund
Der Thulba-Talgrund ist beglückend in seiner Reinheit und Verschwiegenheit. Man schaut versonnen auf den wundersam schimmernden Ton der Erde, die in feinem Rot und Violett schwingt. Wie Teppiche breiten sich die Felder aus, ziehen in klarer Staffelung an den Hängen der Bergkuppen hinauf, über die der Spätsommerwald sein dunkles Gewand hüllt, schon zart gezeichnet und gefärbt mit dem bunten Brokat des Herbstes. Im Frühjahr überzieht ein frisches Grün die Wiesen im Talgrund, - eine Lust darüber zu schreiten hin zu dem Erlengeleite am lieblichen Bächlein der Thulba, das in langen Schwingungen und oftmals in scharfe Windungen gedrängt, schwerelos dahinfließt. Reich sind die Bilder, die sich dem Blick des Wanderers da auftun, wechselhaft, aber nicht aufdringlich. Beglückt schaut der Wanderer nach dem nahen, im dunklen Blaugrün dastehenden Wald, der sich schattenhaft vom lieblichen Hell der Wiesen abhebt und den Fuß der Bergkuppen zum Tale hin säumt.
Man meint in einem jungen Lande zu sein, das jetzt erst begänne sich zu regen, - und doch wandelt man auf altem Grunde, über den die Väter schritten, fleißige Mönch' wandelten, rodend und bauend, segnend und helfend, -kühne Ritter zu stolzen Festen zogen oder in blutige Fehden, und fremde Heere stampften zu Sieg oder Niederlage.
Das Land war stärker als sie alle. Sein stilles Leben webt weiter und die Denkmäler der früheren Zeiten weilen heute noch wissend im Tale. Der Wanderer bleibt stehen. Mitten im Reigen der vertrauten Dörfer erhebt sich, wie ein Mirakel, ein edles Gebäude. Der Wanderer bewundert ergriffen die Abteikirche in Thulba. Es umfängt ihn jenes unsagbare Gefühl, das jeden Beschauer vor greisem Gestein eines Gotteshauses erfüllt. Breit lagern sich seine Wände, wie Wehr und Schild, und doch erfüllt von innerlichem Leben. Einem uralten Gebete gleich, das vor mehr als tausend Jahren erklang und seine Stimme durch alle Fährnisse der Jahrhunderte rettete, erhebt sich der Vierungsturm, eine Eigentümlichkeit, die im fränkischen Gebiet selten ist, aber in der Rheingegend öfters vorkommt. Gewiß haben die Jahrhunderte dem ehrwürdigen Gebäude manches zuleide getan, aber sein erstes Wesen, die Form des lateinischen Kreuzes, ist so schön erhalten geblieben, daß wir beglückt sein können, solch einen architektonischen Schatz inmitten des Thulba-Tales anzutreffen. Wie geheimnisvoll ist der Umkreis dieser Klosterkirche, zu dem auch das großartige Gebäude der Propstei gehört, das nach der Ordensregel aufgeführt und den Benediktinerinnen übergeben wurde! Lange verweilt man vor der edlen Gliederung der breiten Stirnwand der Probstei, vor dem sinnvollen Wechsel der Fensterbekrönungen mit Giebel und Segment, die sich in klarer Form zwischen den breiten Pilastern aufreihen, bevor man durch das festliche Barockhauptportal in den kühlen, wuchtigen Raum des Treppenhauses tritt. Soll man die kostbaren Schätze alle nennen, die hier sich finden? Kostbare Kasel, die in roter, weißer und violetter Seide gehalten und mit Gold- und Silberstrickerei in großblumigen Mustern, gefiederten Blättern und geblatteten Rokokoranken verziert sind, einstmals getragen von den Kapitularen und Pröpsten zu Thulba. Der Kelch, in Silber vergoldet, versehen mit Darstellungen von Heiligen, gehört dazu Erhalten ist auch noch die figürlich reichverschönte Stuckdecke in der alten Hauskapelle. Ja, man möchte gerne länger verweilen und alles mehr beschauen, sich erzählen lassen, was hier geschah,- den einzelnen Geschicken nachspüren, das wäre schön!
Bevor der Wanderer Thulba verläßt, wirft er seinen Blick auf die reizvollen Fassaden zweier reichgewerkter Fachwerkhäuser, die ihm unweigerlich auffallen müssen, weil sie unweit der Propsteikirche stehen. Dann tritt er wieder hinaus in das stille Tal, zufrieden und beglückt von der köstlichen Gabe und denkt sich vielleicht: Hier ist es gut sein!
Doch ist es nicht so, - die Menschen leben nicht im Überfluß, ihr Leben ist hart und streng, der Boden schenkt keine üppigen Ernten, das Gestein ist spröde und will sich nicht dazu gebrauchen lassen, dem Menschen Bildwerke zu liefern. Ja, so ist es.
K Stöckner