Hammelburger Geschichte(n)

Warum die Kirche nicht mitten im Ort, sondern aussen an der Stadtmauer steht.


Als Fuldas Abt Friedrich von Romrod 1389 in H. eine Kirche bauen lassen wollte, war in mitten der Stadt ein großer Platz, da der Buttenmarkt mit dem noch unbebauten Rathaus- und Marktplatz eine große, weite Fläche bildete. Da hätte das größte Gotteshaus neben dem Markt Platz gehabt. Die Pläne waren fertig, das Baugerüst schon angefahren. Da über Nacht verschwanden Bausteine, Balken und Bretter von dort und wurden von den Bauleuten im Südwestwinkel der Stadtmauer, da wo heute die Kirche steht, wieder aufgefunden. Baumeister und Vogt des Abtes waren empört über den schlechten Streich und legten sich, als die Sache sich wiederholte, schließlich nachts auf die Lauer.
Es waren damals besonders fette Weinjahre gewesen. Schon für einen Batzen konnte sich jeder nach Herzenslust toll und voll trinken. Das war ein Saufen, Johlen und Schreien auf dem Markt, ein Lastern, Würfeln, Raufen und Schlagen bis in die tiefe Nacht, da man den Nachtwächter mit einem Teller heißer Würste mundtot zu machen pflegte. Auch fremde Landfahrer und die Sassen der Schlösser weit und breit nützten die Gelegenheit.
Nun hatten sich die Wächter des Baumeisters mit ihrem Knüppeln rings umher verteilt und hörten das Fluchen und Johlen über die Geisterstunde hinaus weitertoben. Da - plötzlich regte sich Leben auf dem Bauplatz! Der Grundstein wälzte sich aus der Erde. Dumpf dröhnte eine beschwörende Stimme: „Brüder kommet alle fort! Die Kirche sei ein heil'ger Ort!" und ein geisterhafter Zug setzte sich schattengleich in Bewegung. Erst die Hausteine, dann die groben Brocken, dann Füllsteine; wie eine Herde folgten sie dem Grundstein und mit Rollen, Poltern und Knirschen bog der düstere Zug in die dunkle Gasse ein. Stangen krochen wie Schlangen, Gerüstböcke, Gerüstbalken und Bretter schlossen sich an; der Kalktrog fuhr lautlos wie eine Arche und schließlich trippelten Meisel, Hämmer, Kellen, Schlegel, Winkel, Lot, Zange, Axt und Klammern leise klirrend hinterher und der große hölzerne Bauzirkel machte steifbeinig den Beschluß. Die Bauhütte riß sich los und segelte mit, eine große Kufe mit Wein nach sich ziehend, in der der Kalk angerührt werden sollte.
Stumm und offenen Mundes starren die Wächter auf den Gespensterzug, der seinen Weg zur Friedhofecke nimmt. Die Knie schlottern und die Knüppel entfallen ihrer Hand. Mittlerweile war der Zug an der Mauerecke, da wo der Südwestturm sich emporreckte, zum Stillstand gekommen und, wie auf lautlosen Befehl legten sich alle Steine, Hölzer und Geräte in gleicher Ordnung, wie am Marktplatz, auf und in die Erde. Hierher drang kein Laut des weinseligen Geschreies vom Markte. - Vom Turme schlug es eins und ein Schauder des Verstehens kroch dem Baumeister und seinen Leuten über den Rücken.
Anderntags jagte der Amtmann zu Pferd gen Fulda, ohne sich auch nur die Zeit zu einem Imbiss irgendwo zu nehmen. Schweisstriefend stand er dann vor dem Fürstabt Romrod. Nachdenklich und ohne ihn zu unterbrechen hörte sich dieser die seltsame Kunde an und meinte schließlich: „Es ist schon richtig. Ein Gotteshaus soll Stille um sich haben. Bauen wir also Euere Kirche dahin, wo ihr der Friede besser gewährleistet ist, in jenen ruhigen Winkel der südlichen Stadtmauer!" Und es geschah also.

Nach Karl Schneider, München

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