30.3.45 Karfreitag: Schon um 8 Uhr Alarm, doch konnte um 9 Uhr der übliche Gottesdienst gefeiert werden. Tagebuch: „Gegen 16 Uhr wieder Alarm. Allgemeine Flucht in Happs Keller, der schon übervoll war. Weinende, lärmende und schreiende Kinder, beißender Rauch. Gegen 17 Uhr trotz fortdauernder Fliegertätigkeit wieder heim. Spät abends alerlei wilde Gerüchte, mit Fluchtgepäck wieder zu Happ, dann in Pauls Keller, der sicherer schien. Gegen 23 Uhr Beruhigung. Mondhelle, kühle und verhältnismäßig ruhige Nacht."
31.3.45 Karsamstag: Unruhiger Tag, mehrfach Alarm.
1.4.45 Ostersonntag: Während der Frühmesse Alarm. Tagebuch: „Heimweg unter dem Krachen von Bordwaffenbeschuß, flüchtend von Haus zu Haus". Erst gegen Mittag etwas Ruhe. Die Radiomeldungen fielen aus. In der Volksschule wurde Militär einquartiert, eine Art Auffangskommando für die immer zahlreicher von Westen her zurückströmenden deutschen Soldaten. Ein junger deutscher Feldwebel sollte wegen angeblicher Desertion erschossen werden. Pfarrchronik: „Trotzdem er ständig seine Unschuld beteuerte, wurde er ohne Gerichtsurteil hingerichtet. Die Kugeln der Soldaten trafen nicht, so schoß ihn ein Offizier in die Schläfe. Es war in der Nähe des Klosters Altstadt." Nach Kriegsende wurde der Leichnam aus dem seichten Grab, das der Erschossene unweit der großen Linde an der Lagerstraße sich selbst hatte graben müssen, wieder herausgeholt und auf dem städtischen Friedhof beigesetzt. Pfarrchronik: „Erkennungsmarke und Ausweis fanden sich nicht, wohl aber ein Rosenkranz und ein Medaillon. Der Pfarrer beerdigte ihn und sprach ein Gebet". Tagebuch: „In der Nacht auf Ostermontag gegen 23 Uhr Beginn endloser Durchfahrt deutscher Autos von Obereschenbach und Diebach her durch die Stadt. Fast ohne Unterlaß Rollen und Dröhnen." Pfarrchronik: „Die deutsche Wehrmacht scheint sich in voller Auflösung zu befinden. Soldaten aller Truppengattungen, bunt durcheinander gewürfelt, oft ohne Ausrüstung, vielfach ausgehungert und zerlumpt, hinkend oder auf Fahrzeugen zusammengepreßt, durchziehen die Stadt, vor dem Feinde fliehend." Voll: „Manche der Fliehenden warfen Waffen und Munition in die Thulba oder in den Kanal zum Elektrizitätswerk.. Ich sprach mit einigen, ihr Wunsch war meist: fort und heim!"
2.4.45 Ostermontag: Ab 10 Uhr häufiger Geschützdonner von SW. Gegen 16 Uhr wieder aufgelöste Schwärme deutscher Fahrzeuge von Diebach her, darunter ein riesiges Langrohrgeschütz. Niederdrückendes Gefühl der Trauer über die furchtbaren Opfer an Menschen und Material. Nun währt der Krieg schon länger als 5 Jahre und alles ist umsonst, die vernichtende Niederlage steht unmittelbar bevor!
Immer neue aufregende Gerüchte, auf die man beim gänzlichen Mangel an verlässigen Nachrichten allein angewiesen war (nebenbei bemerkt hatte auch die Hammelburger Zeitung schon 1944 wie soviele andere ihr Erscheinen aus Papiermangel einstellen müssen, sie erschien erst wieder 1950). Allmähliches Vorrücken der Front gegen Gemünden.
3.4.45 Dienstag nach Ostern: Die Nacht ging unerwartet ruhig vorbei. Früh ungewohnte Stille, die Ruhe vor dem Sturm, der am 4., 5. und 6. April über Hammelburg hinweg gehen sollte. Die Straßen waren fast menschenleer, kaum einmal ein Auto zu sehen, bespannte Fuhrwerke wagten sich nur im Notfall hinaus. Am Nachmittag kam der Kampflärm von W her immer näher. Nachts wieder Durchzug deutscher Abteilungen.
4.4.45 Mittwoch nach Ostern: Schon früh stark einsetzende feindliche Fliegertätigkeit, Bomben und Bordwaffenbeschuß. Dies dauerte den ganzen Tag über an. Manche Einwohner versuchten weiße Tücher auszustecken, einige junge Burschen sogar am Turm der Pfarrkirche, doch wurden alle diese Versuche vom Rathaus her alsbald unterdrückt. Auf dem Bahnhofsgelände standen am Morgen gefangene Russen zum Abtransport bereit. Bei einem plötzlichen Fliegerüberfall suchten die begleitenden Landesschützen Deckung im Bahnhofsgebäude. Von ihnen und den Gefangenen wurden 15 bis 20 verwundet oder getötet. Gleichzeitig wurde auch die ganze Stadt beschossen und bombardiert, vielfach flammten Brände in Scheunen und Wohnhäusern auf. — Tagebuch: „Ich wollte früh zum Bäcker, geriet jedoch in die Beschießung des Bahnhofs und suchte Zuflucht in der Straßenunterführung bei der Winzerhalle. Ringsum Bombenkrachen, Flucht in den Keller des oberhalb stehenden sogenannten Beamtenwohnhauses. In Pause eilig heimgelaufen, auch hier alles im Keller". Nach den Aufzeichnungen von Kreisbrandinspektor Fell war dies der erste Tag mit größeren Bränden in der ganzen Stadt. Pfarrchronik: „Sie warfen Stabbrandbomben und Phosphorkanister. Plötzlich loderten an mehreren Stellen Brände auf und wurden durch den starken Wind weitergetragen ... Auf der Straße nach Fuchsstadt wurden 2 Soldaten von Bomben zerrissen, in der Stadt bekamen 1 Junge und eine Waisenhausschwester Schüsse in die Beine..."
Am Viehmarkt standen einige qualmende Feldküchen. Die für sie bestimmte Bombe traf das Wohnhaus von Maler Ringelmann. Er berichtete: „Ich war eben, als Wehrmachtsangehöriger dem Lager zugeteilt, auf kurzem Urlaub daheim, als Fliegeralarm ertönte. Mit Frau und Tochter suchte ich den Keller auf, dessen Fenstergitter ich kurz vorher heraus gerissen hatte, sonst wären wir dort wie in einer Falle gesessen. Unser Stadtviertel war wie schon am 27.3. eines der Angriffsziele zunächst für Bordwaffenbeschuß. Währenddessen wollte meine Frau nochmals in die Wohnung hinauf, erhielt jedoch, auf der Treppe stehend, einen Oberschenkelschuß. Kaum war sie wieder heruntergekrochen, so fielen drei Bomben in der Nähe. Eine zerstörte den hinteren Kellerteil. Ich wurde mit meiner Frau seitwärts geschleudert und verschüttet. Die Tochter, nur leicht durch Steinsplitter verletzt, konnte auf die Straße gelangen um Hilfe zu holen. Sie eilte schließlich zur Landwirtschaftsschule, wo sich ein amerikanischer Arzt befand. Dieser ging mit ins Krankenhaus, wohin wir zwei von anderen Helfern verbracht worden waren. Dort starb meine Frau. Ich selbst kam nach einiger Zeit wieder zum Bewußtsein und genas später." — Oberinspektor Wirth von dem damals nach Hammelburg verlegten Finanzamt Schweinfurt erzählte: „Gegen 10 Uhr gab es Alarm. Ich lief aus dem Amt mit anderen in den Keller im Ostflügel des Roten Schlosses. Wir waren zusammen etwa 30 Personen. Kaum waren wir unten, so fielen zwei Sprengbomben nahebei in den Hof.
Hier standen noch immer zahlreiche Zivilisten und Soldaten herum. Diese hatten die Flieger offenbar angelockt. Die Bomben explodierten nahe beim Keller. Mauern stürzten ein, wir wurden verschüttet. Der ganze Keller war von dickem Staub erfüllt, sodaß man kaum atmen konnte. Es verging etwa eine Stunde, dann wurden auf unsere Lebenszeichen hin die Schuttmassen von außen weggeräumt und wir gerettet, manche allerdings bereits ohnmächtig." Damals fielen auch der schöne Wendeltreppenturm im Ostflügel des Schlosses mit seinen gotischen Spitzportalen und das zugesetzte Renaissanceportal im 1. Stock der Zerstörung anheim (Kunstdenkmäler von H. S. 82).
Die Feuerwehr hatte an diesem Tag viel zu tun. Aufzeichnung von Kreisbrandinspektor Fell: „Ich kommantierte die Feuerwehr seit 1934. Sie war Anfang 1945 noch etwa 60 Mann stark, meist ältere Leute. Die Geräte wie Schläuche, Spritze, Leitern usw. waren intakt und für den Ernstfall ausreichend, die Uniformen natürlich abgenützt. Die Löscharbeiten begannen gewöhnlich noch während des Angriffs. Die meisten Brände entstanden am 4. und 5. April. Auch Feuerwehren aus den Nachbarorten halfen manchmal (Diebach, Untereschenbach, Pfaffenhausen u. a.) Am 4.4. entstanden Schäden in 20 Anwesen. Soldaten beteiligten sich ebenfalls manchmal an den Löscharbeiten. Insgesamt gab es in Hammelburg und im Landkreis 66 Schadenfälle."
5.4.45 Donnerstag nach Ostern: Wiederum setzte schon in aller Frühe die Fliegertätigkeit ein, Bordwaffenbeschuß und Bomben. Schwere Zerstörungen entstanden, Brände gab es am Viehmarkt, am Linsenhügel, an der Seeshofer- und Bahnhofstraße. Pfarrchronik: „...Gegen 9.30 Uhr begannen sie Bomben zu werfen. Schauerlich hallten die surrenden Töne über uns hinweg. Kurze Stille, dann ein schmetternder Schlag: die Bombe hat ihr Unheil angerichtet. Wir saßen im Keller des Pfarrhauses... insgesamt 20 Menschen. Plötzlich hörten wir wieder ein Flugzeug unmittelbar über uns im Tiefflug dahinbrausen. Dann erschüttert ein furchtbarer Schlag das ganze Haus: wir sind getroffen! Sofort füllt Staub den ganzen Raum und erschwert Sicht und Atem. Der Pfarrer eilt sofort nach oben Es ist nichts zu sehen als eine ungeheure gelbe Staubwolke. Steht die Kirche, steht das Pfarrhaus noch? Brennt es? Allmählich ist etwas zu erkennen: Im Hof des Pfarrhauses gähnt ein großer Bombentrichter... die Mauer, die uns vom Gefängnis trennt, ist eingerissen, die Wand der Scheune teilweise eingefallen. Der Boden des Hofes und Gartens ist überdeckt mit Ziegelbrocken, Glassplittern, zerfetzten Holzstücken und Pflastersteinen. Das Dach des Pfarrhauses ist größtenteils abgedeckt, fast alle Fensterscheiben eingeschlagen, zum Teil samt den Rahmen herausgerissen... und die Kirche? Sie steht noch, aber die Fenster mit ihren wertvollen Glasgemälden liegen in tausend Splittern im ganzen Kirchenraum zerstreut... die Statue ist vom Marienaltar gestürzt und beschädigt. Greuel der Verwüstung an heiliger Stätte unser Mesner Hofbauer hatte noch in der Kirche gearbeitet. Als der Angriff begann, konnte er sich nicht mehr bergen und erlebte das furchtbare Geschehen im Kirchenraum mit, blieb aber glücklicherweise unverletzt."
Ein riesiger Trichter klaffte auch auf der Saalewiese gegenüber dem Elektrizitätswerk. Diesem hatte der Bombenabwurf offenbar gegolten, doch das Werk war unversehrt. Vom Lager her erschollen immer wieder dumpfe Detonationen, dort sprengte die Wehrmacht verschiedene Anlagen.
Die allgemeine Aufregung und Verwirrung wuchs. Wieder begannen zahlreiche Einwohner aus der Stadt zu flüchten. In der folgenden Nacht zogen vielfach am dunklen Westhimmel die Lichtstreifen von Scheinwerfern tastend und suchend hin und her, Leuchtkugeln stiegen auf, Geschützdonner grollte fern und nah, Granaten explodierten. Es War eine unheimliche Nacht, allgemein hatte man das Empfinden: die Entscheidung ist dal
6.4.45 Freitag vor dem Weißen Sonntag: Pausenlose Fliegertätigkeit wie gestern. Die verängstigten Einwohner verbrachten die meiste Zeit in den Kellern. Den geräumigsten enthielt das Rathaus und er barg zeitweise mehrere 100 Schutzsuchende. Immer noch zogen ordnungslose Nachzügler der Wehrmacht durch die Stadt, meist in kläglichem Zustand. Viele warfen Waffen und Munition aller Art in die Saale oder in den Weiher, von wo sie nach Kriegsende mühsam wieder herausgefischt werden mußten. Immer näher rückten die Gegner, am Abend des 5. April besetzten sie Diebach, am 6. April mittags Untererthal. Sprengkommandos der Wehrmacht suchten überall durch Brücken- und Straßensprengungen dem nachdrängenden Gegner Hindernisse zu bereiten: Die Saalebrücke in Diebach wurde in der Nacht zum 5. April gesprengt, die Thulbabrücke bei der Keßmühle am 6. April vormittags, die Straße oberhalb davon gleich darauf, ungefähr gleichzeitig die Straße bei Untereschenbach, die Saalebrücke nahebei schon einige Tage vorher. Der Volkssturm suchte bei diesen Sprengungen mehrfach Widerstand zu leisten.